Dem Kulturerbe auf der Spur

Am Sonntag ging in Gescher das 32. Kolloquium zur Glockenkunde zu Ende. Drei Tage lang tauschten sich mehrere Dutzend Campanologen aus dem In- und Ausland in der Glockenstadt aus. Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr besonders die Glocke als Kulturerbe.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 32. Kolloquiums zur Glockenkunde

Herbstlich wurde es im Verlauf des Kolloquiums, zu dem sich am vergangenen ersten Wochenende im Oktober knapp 60 Glockenfreunde, -gießer und -sachverständige in der Glockenstadt Gescher trafen. Doch herbstlich war es nur im meteorologischen Sinne, die Atmosphäre unter den Teilnehmern war vor allem von der Freude auf das Wiedersehen und Kennenlernen sowie der Neugier auf das Programm geprägt, zu welchem das im Westmünsterland ansässige Deutsche Glockenmuseum eingeladen hatte.

Öffentlicher Abendvortrag

Den Auftakt machte der Abendvortrag am Freitag, dem Tag der Deutschen Einheit. Zu diesem hatten die Veranstalter auch die interessierte Öffentlichkeit eingeladen, da es um das Thema des Immateriellen Kulturerbes, zu dem Glockenguss und Glockenmusik seit März gehören, ging. Michael Kaufmann vom Orgel- und Glockenprüfungsamt sowie der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg der Evangelischen Landeskirche in Baden, hatte dieses Projekt bei der UNESCO maßgeblich mit vorangetrieben.

Bürgermeisterin Anne Kortüm und der Referent des Abendvortrags Michael Kaufmann

Vor den Kolloquiumsteilnehmern und einigen interessierten Gescheranern führte der Musikwissenschaftler aus, dass es nicht allein genüge, den entsprechenden Enthusiasmus mitzubringen, um das Thema Glocke in einem positiven Sinne in die Öffentlichkeit zu tragen. Es benötige dazu auch eine gewisse Strategie sowie Kontakte zu verantwortlichen Personen in der Politik. Eine Gefahr für die Akzeptanz und das Interesse am Glockenklang sei auch die Säkularisierung unserer Gesellschaft. Die Glocke würde in erster Linie mit den Kirchen in Verbindung gebracht, obwohl es auch weltliche Glockenmusik gebe und selbst der Klang von Kirchenglocken keine religiösen Botschaften in verbaler Form übermittle. Kaufmann verdeutlichte mehrfach, dass es beim Immateriellen Kulturerbe nicht um die Glocken selbst gehe. „Wir alle sind Teil dieses Kulturerbes. Es liegt an uns, dieses Erbe im Bewusstsein der Bevölkerung wachzuhalten und weiterzugeben“, ermahnte der Referent die Zuhörer im Großen Ratssaal des Rathauses in Gescher.

Eingeläutet wurde der Abend durch die Glocken vom nahegelegenen Marienturm. Dazu brachte eine siebenköpfige Mannschaft die sechs Instrumente ab dem Nachmittag zu jeder vollen Stunde in unterschiedlicher Weise zum Klingen und sorgte so im Wechsel mit einer Liveband für die musikalische Untermalung des Feierabendmarktes, der an diesem Freitag auf dem Rathausplatz stattfand. Bürgermeisterin Anne Kortüm begrüßte die Kolloquiumsteilnehmer vor Beginn des Abendvortrags und beglückwünschte das Deutsche Glockenmuseum zur erfolgreichen Verlegung des Vereinssitzes in die Glockenstadt Gescher, der von der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr einstimmig beschlossen worden war. Es sei erfreulich, dass der Verein so viele junge Gesichter habe, was an diesem Abend im Rathaus nicht zu übersehen war.

Nach dem Vortrag von Michael Kaufmann und einer sich anschließenden Diskussionsrunde konnten die Teilnehmer der Veranstaltung bei Getränken und einem kleinen Imbiss miteinander ins Gespräch kommen.

Europaweite Querverbindungen

Am Samstagvormittag begann das eigentliche Kolloquium mit einem Grußwort des Vorsitzenden des Vereins zur Förderung des Glockenmuseums der Stadt Gescher, Clemens Kösters, der noch einmal die gute Zusammenarbeit zwischen den Institutionen betonte und von einem Glockenkompetenzzentrum in der Glockenstadt Gescher sprach.

Christophe Coulot auf den Spuren des Gießers Ioiris

Die sich anschließenden Vorträge widmeten sich glockenspezifischen Themen. Max Klöcker setzte seine Darstellung der sich zum 100. Mal jährende Geschichte der Kölner Petersglocke fort, die nach vielen Versuchen technischer Optimierung am 28. Oktober 1925 zum ersten Mal ohne größere Probleme erklang. Christophe Coulot stellte zwei Glocken des Gießers Ioiris aus dem 15. Jahrhundert im Grenzbereich der alten Erzdiözesen Trier und Köln vor, die ungewöhnlich reihhaltig verziert sind. Ein Querverweis aus dem Auditorium auf die politische und philosophische Gemengelage jener Zeit deutete an, dass es möglicherweise Verbindungen nach Florenz und die dort bereits beginnende Renaissancezeit gebe.

Claus Peter und Ben Schröder stellten im Wechsel miteinander die wechselvolle Glockengeschichte der Benediktinerklöster Banz und Münsterschwarzach vor, die im 16. Jahrhundert beide von Johannes IV. Burckhardt als Abt geleitet worden waren. Im Anschluss sprach Claus Peter noch über die große Glocke von St. Johannis zu Stargard in Pommern, welche nach langer Zeit wieder erklingt, und wies darauf hin, welche enormen Fortschritte die Glockenforschung in Polen inzwischen gemacht habe. Rainer Schütte stellte das KlokkenWiki, eine Datenbank aller Glocken in den Niederlanden, vor, an der jeder mitarbeiten und diese fortentwickeln könne.

Exkursion nach Metelen und Schöppingen

Nach dem Mittagessen begaben sich die Kolloquiumsteilnehmer auf eine Exkursion zu zwei Geläuten in der näheren Umgebung. Ziel waren die ehemalige Stiftskirche in Metelen und die Pfarrkirche St. Brictius in Schöppingen. Beide Gotteshäuser verfügen jeweils über einen wertvollen Altbestand an Glocken aus unterschiedlichen Jahrhunderten, der im 20. Jahrhundert modern ergänzt worden ist. Trotz des sehr windigen Wetters und mitunter kräftigen Regenschauern konnten beide Geläute in den jeweiligen Regenpausen vorgeführt werden. Insbesondere in Metelen beeindruckte die sehr ungewöhnliche Disposition des Geläuts mit zwei Halbtonschritten.

Max Michalzik erzählt als jüngster Kolloquiumsreferent von der ehem. Glockengießerei Radler

Am Sonntagmorgen setzte sich der Reigen der Vorträge im Rathaus zu Gescher fort. Niclas Häusler berichtete über den Glockenbestand seiner Heimatstadt Halle an der Saale, der vor allem von nach dem Krieg zusammengestellten Provisorien geprägt ist. Ernüchtert mussten die Zuhörer zur Kenntnis nehmen, dass in vielen Kirchen der Stadt kaum noch Gottesdienste stattfinden und somit auch die Glocken nur noch selten erklingen. Der jüngste Referent des Kolloquiums war Max Michalzik. Zusammen mit seinem Vater Marc Michalzik stellte der 13-Jährige die Geschichte und Exemplare der ehemaligen Glockengießerei Radler in Hildesheim vor. Die Teilnehmer quittierten das sichere Auftreten und die klare Sprache des Schülers mit Applaus und gratulierten zu seinem Einstand im Kreis der Referenten.

Klaus Hammer setzte sich in diesem Jahr wieder mit einem Dogma der Campanologie kritisch auseinander, nämlich dass vor allem der Dopplereffekt für den belebten Klang einer schwingend geläuteten Glocke verantwortlich sei. Als Resultat zeigte sich, dass vor allem die Teiltoninterferenzen und damit deren Lautstärkedynamik für den belebten Klang sorgt.

Konstruktion in Gescher entstanden

Zum Abschluss wurden den Kolloquiumsteilnehmern zwei Glockenlandschaften in Übersee vorgestellt. Sebastian Schritt brachte den Zuhörern die Glocken der Färöer nahe. Die nicht sehr vielen und auch nicht besonders großen Instrumente bestechen jedoch vor allem durch den Kontext von Landschaft und Natur, in dem sie sich befinden. Birgit Kleefeld berichtete über Kirchenglocken aus der Missions- und Kolonialzeit in Ghana und Togo. Letzteres war bis 1916 deutsche Kolonie. In dem Land befinden sich auch heute noch Glocken deutscher Gießereien wie dem Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation oder Otto in Hemelingen.

Die neugegossene Glocke, deren Konstruktion während des letzten Kolloquiums entstanden ist

In den Pausen konnten sich die Teilnehmer eine gerade erst gegossene Glocke anschauen und anschlagen, die von der Gießerei Schmitt aus Brockscheid mitgebracht worden war. Deren Konstruktion war beim letzten Kolloquium im Rahmen des Tutoriums zum Rippenzeichnen entstanden.

Die Schlussdiskussion zeigte die Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem Verlauf des Kolloquiums und quittierte dies mit einem Applaus für die Organisatoren und Helfer, die zum Gelingen beigetragen hatten. Das 33. Kolloquium zur Glockenkunde wird vom 2. bis zum 4. Oktober 2026 wieder in der Glockenstadt Gescher stattfinden.

 

Bildergalerie vom 32. Kolloquium zur Glockenkunde in Gescher