Nachrichten aus dem „Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg“
Von Klaus Hammer
Rückblende auf die vergangenen Jahre
Die letzten Jahre waren, bedingt durch äußere, unvorhergesehene Einflüsse, für das Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg äußerst problematisch, wie im nachfolgenden Kapitel 2 erläutert werden wird. Zwar konnte sich 2019 das Museum noch einmal durch die Abhaltung des 27. Kolloquiums zur Glockenkunde einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit erfreuen[1], doch dann führte die Corona-Pandemie auch in Herrenberg immer wieder zur Schließung des Museums. Unter erschwerten Bedingungen war es immerhin im Jahre 2020 möglich, die im Krieg beschädigte Guldenglocke d1 durch eine neue Vaterunserglocke d1 (Campana Orationis Dominicae) im Gesamtgeläute zu ersetzten und damit klanglich den ursprünglichen Uhrenschlag sowie viele Teilgeläute und das 20-stimmige Plenum wiederherzustellen[2]. Zahlreiche klangliche Zeugnisse dieser Wiederherstellung finden sich u. a. auf der YouTube-Plattform, teilweise von Besuchern, teilweise aber auch vom Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg eingestellt[3]. Weiterhin wurde die Schließung des Museums dazu genutzt, alle 36 läutbaren Glocken des Museums als Video aufzunehmen und auf YouTube vorzustellen[4]. Weitere Einstellungen auf YouTube, z. B. die Vorstellung der Kirchenjahreszeitenchoräle auf dem Herrenberger Carillon, sind vorgesehen und werden in den Jahren 2024 und 2025 nach und nach veröffentlicht.
Die historische Guldenglocke wurde inzwischen ein Stockwerk tiefer fest aufgehängt und kann dort als Klangdenkmal angeschlagen werden.
Zwischen 2021 und 2024 bemühte sich das Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg darum, auch eine Läuteglocke aus dem 16. Jahrhundert und damit aus der Renaissancezeit in seinen Bestand zu bekommen. Das Museum besitzt zwar Nachgüsse von Glocken aus dem 9. bis 12. Jahrhundert sowie Originalglocken vom beginnenden 13. bis zum 21. Jahrhundert, es fehlte ihm aber bislang eine echte Läuteglocke aus dem 16. Jahrhundert, die in die Schlagtonlinie passt und zusammen mit anderen Glocken in Geläutemotiven erklingen kann. Eine solche Glocke aus dem Jahre 1539 hing jedoch als Leihglocke in der nahe bei Herrenberg gelegenen Gemeinde Altdorf. Der vom Autor eingebrachte Vorschlag, dem Glockenmuseum diese Leihglocke zur Verfügung zu stellen und dafür eine eigene, neue Glocke im gleichen Schlagton h1 gießen zu lassen, deren Anschaffungskosten sich die Kirchengemeinde Altdorf und das Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg hälftig teilen würden, wurde nach einiger Diskussion von beiden Seiten angenommen und in den Jahren 2023 und 2024 umgesetzt.
Allerdings hat die Leihglocke eine beschädigte Krone, die laut einem Foto auf dem Glockenfriedhof Hamburg schon vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden haben muss. Drei fehlende Kronenbügel sind bei der Glocke durch eingeschraubte Stahlbügel notdürftig ersetzt worden. Vor einer Aufhängung in Herrenberg sollte die Krone dementsprechend restauriert werden. Diese kostspielige Maßnahme, an der wohl auch die Bundesregierung als Eigentümerin zu beteiligen wäre, steht momentan noch aus.
Immerhin dürfte mit dieser Glocke das Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg der einzige Ort in Europa sein, in der die gesamte Bronzeglockengeschichte des Abendlands Jahrhundert für Jahrhundert seit der Zeit Karls d. Gr. durch läutebare Exemplare veranschaulicht werden kann.
Die Schließung des Glockenmuseums seit 2023, bedingt durch hohe Brandschutzauflagen
Nachdem sich das Museum im zweiten Halbjahr 2022 gerade wieder von den Corona-Schließungen der Jahre 2020 bis 2022 erholt hatte, teilte die Leiterin des Baurechtsamtes Herrenberg dem Vorstand des Vereins zur Erhaltung der Stiftskirche Herrenberg, der u. a. das Glockenmuseum finanziell, ideell und personell trägt, in einer Onlinesitzung mit, dass die Betriebsgenehmigung des Glockenmuseums ohne Umsetzung von Brandschutzauflagen erloschen und das Museum zu schließen sei. Aus diesem Grund wurde zum 1. Januar 2023 die komplette Schließung des Museums für die Öffentlichkeit veranlasst.
Schon seit 2014 wurde über Brandschutzmaßnahmen diskutiert und 2015 auch ein teures Gutachten durch den Verein in Auftrag gegeben, dessen Aufgabe es war, die Bedingungen für den zeitgleichen Aufenthalt von 70 Personen im Glockenmuseum auszuloten. Diese Zahl hatte sich in den vergangenen Jahren bei Glockenkonzerten als notwendig erwiesen. Das Gutachten stellte fest, dass ein Brandschutzraum für 70 Personen in den Turm eingebaut werden müsse, der wenigstens für eine halbe Stunde Schutz vor einem möglichen Brand im Turm garantiere. In den folgenden Jahren waren alle möglichen Behörden eingeschaltet worden, um eine Realisierungsmöglichkeit der Brandschutzauflagen in dem denkmalgeschützten Gebäude auszukundschaften.
In einer von der Stadt Herrenberg initiierten Sitzung mit nahezu allen Beteiligten im Januar 2023 wurden die vom Verein vorgelegten Pläne für einen Personenfluchtraum innerhalb des vorhandenen Turm-Sprengwerkes von allen Anwesenden für gut befunden. Allerdings dauerte es dann wieder bis zum November 2023, bis endlich die Baufreigabe durch die Prüfstatik erfolgte. Während der Verein Rücklagen für den Bau eines Brandschutzraums in den letzten Jahren gebildet hatte, ergab laut einem externen Planer die ebenfalls geforderte Verringerung der Brandschutzlasten durch eine Neuinstallation der gesamten Elektrik zusätzliche Kosten von mehr als 300.000 €.
Zusammen mit den über 100.000 € betragenden Kosten für den Brandschutzraum ist dies eine Gesamtsumme, die die Vereinsfinanzen völlig überfordert. Wenn überhaupt kann die geforderte Bandschutzinvestition nur durch Mithilfe der öffentlichen Hand sowie großzügige Spenden aus Unternehmen, Finanzwelt, Stiftungen und Privatpersonen aufgebracht werden. Es stehen also in der kommenden Zeit intensive Fundraising-Bemühungen des Trägervereins an.
Gelingt die Finanzierung der Brandschutzmaßnahmen in absehbarer Zeit nicht, hat die über dreißigjährige und einen siebenstelligen Eurobetrag kostende, in der Hauptsache im Ehrenamt geleistete Aufbauarbeit am Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg mit der 2023 erfolgten Schließung des Museums ihr Ende gefunden. Damit wäre dieses europaweit einzigartige funktionale Glockenmuseum, das sich in einem Gebäude befindet, in dem es trotz zweier verheerender Stadtbrände seit 700 Jahren noch nie gebrannt hat, durch hohe bürokratische Hürden für die interessierte Öffentlichkeit vernichtet.
[1] Vgl. hierzu Jan Hendrik Stens: 27. Kolloquium zur Glockenkunde vom 3. bis 6. Oktober 2019 am Glockenmuseum Stiftskirche Herrenberg, in: JbGk 31/32 (2019/2020) S.577-580.
[2] Vgl. Dieter Eisenhardt und Klaus Hammer: Die im Jahr 2020 neu gegossene Vaterunserglocke für die Stiftskirche zu Herrenberg als Ersatz für die im Zweiten Weltkrieg schwer geschädigte Guldenglocke von 1602, in: JbGk 33/34 (2021/2022) S.221-237.
[3] Vgl. z. B. die Reihe: Vorstellung der feier- und sonntäglichen Kirchenjahreszeitengeläute auf YouTube.
[4] Vgl. z. B. die Reihe: Vorstellung der Einzelglocken auf YouTube.