Deutsches Glockenmuseum endgültig in Gescher angekommen

Seit 2011 hat das Deutsche Glockenmuseum seinen Standort in Gescher. Nun hat es auch seinen Vereinssitz offiziell in die Glockenstadt im westlichen Münsterland verlegt. Während des 31. Kolloquiums zur Glockenkunde beschlossen die Vereinsmitglieder im Rahmen ihrer Jahreshauptversammlung am vergangenen Freitag den endgültigen Umzug vom Greifenstein nach Gescher. Mit dem dort ansässigen Westfälischen Glockenmuseum pflegt das Deutsche Glockenmuseum schon seit vielen Jahren eine freundschaftliche und kooperative Zusammenarbeit, die sich in den vergangenen 13 Jahren sehr intensiviert hat.

Marc Michalzik während seines Vortrags über die Digitalisierung des Nachlasses Peter Huverstuhl

Bereits am Donnerstagabend stellten Vereinsvorsitzender Jan Hendrik Stens und Marc Michalzik, Experte für Studio- sowie analoge Aufnahme- und Abspieltechnik, die Digitalisierung des Nachlasses von Peter Huverstuhl (1904-1988) vor. Aus diesem besitzt das Deutsche Glockenmuseum rund 100 Decelith-Schallfolien und Hartplatten mit Aufnahmen von Glocken und Geläuten aus Köln und dem Rheinland. Diese wurden Anfang der vierziger Jahre kurz vor der kriegsbedingten Ablieferung aufgezeichnet und stellen eine höchst wertvolle Dokumentation größtenteils vernichteter Bestände dar. Über 80 Jahre danach waren die etwa 60 anwesenden Hörer im Großen Ratssaal im Rathaus der Stadt Gescher Zeugen des ersten öffentlichen Abspielens dieser wertvollen Klangdokumente.

Grußwort der Bürgermeisterin

Bürgermeisterin Anne Kortüm und Clemens Kösters begrüßen die Kolloquiumsteilnehmer

Am Freitagmorgen begrüßte Geschers Bürgermeisterin Anne Kortüm die Kolloquiumsteilnehmer aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz, Österreich, Polen und Litauen. Das Deutsche Glockenmuseum gehöre fest zu Gescher und sei mit seinen Kolloquien jederzeit in der Glockenstadt herzlich willkommen. Clemens Kösters, Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Glockenmuseums der Stadt Gescher e. V., wies in seinem Grußwort auf die intensive Zusammenarbeit im Vorfeld der dringend erforderlichen Sanierung des Heinrich-Hörnemann-Hauses, wo auch das Deutsche Glockenmuseum seine Geschäftsstelle und Bibliothek unterhält, hin.

Im Anschluss daran begann der Reigen der Vorträge, die sich zu Anfang mit den Kölner Domglocken befassten und so an das vergangene Kolloquium in Köln 2023 anlässlich des 100. Geburtstags der Petersglocke im Kölner Dom anschlossen. Max Klöcker erinnerte an den Transport und die Weihe der Glocke im Jahr 1924. Jörg Wunschhofer referierte über den Neuguss der Dreikönigenglocke des Kölner Domes im Jahr 1693 anhand überlieferter Protokolle des Domkapitels.

Marceli Tureczek und Piotr Jamski brachten den Zuhörern die Glockenlandschaften in Polen näher, die aufgrund der häufigen Grenzverschiebungen in der jüngeren Zeit immer wieder Veränderungen und unterschiedlichen kulturellen Einflüssen ausgesetzt waren. Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine erschwere die grenzüberschreitende Forschung. Heinz-Walter Schmitz setze sich mit der tatsächlichen Größe der großen Glocke der Kathedrale in Mende in Frankreich auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass dieses Instrument des 16. Jahrhunderts wohl 9 bis 10 Tonnen gewogen und einen Schlagton um etwa f in der kleinen Oktave gehabt haben muss. Am Mittag stimmte Claus Peter die Anwesenden schon einmal auf die Exkursion des nachfolgenden Tages ein, indem er über die lothringischen Glockengießer Paris und de la Paix berichtete.

Glockengießer Christoph Schmitt demonstriert das Zeichnen von Glockenrippen

Der Freitagnachmittag bot den Kolloquiumsteilnehmern einige praktische Übungen an. So konnte man sich auf Anmeldung in den Räumlichkeiten des Westfälischen Glockenmuseums in die Stimmgabelanalyse einweisen lassen oder zusammen mit Glockengießer Christoph Schmitt aus Brockscheid in der Eifel auf Holzbrettern Rippen zeichnen, die das Profil der später zu gießenden Glocke darstellen.

Ganztägige Exkursion in das Südostmünsterland

Der Samstag führte die Teilnehmer im Rahmen einer ganztägigen Exkursion in das südöstliche Münsterland nach Beckum, Liesborn und Wadersloh. Dort bestand die Möglichkeit, vier große und zum großen Teil auch sehr umfangreiche Geläute zu hören und teilweise auch zu besichtigen. Während die drei tontiefen Glocken der ehem. Pfarrkirche Liebfrauen in Beckum ein beeindruckendes Zeugnis der Glockengießerkunst der ganz frühen Nachkriegszeit sind, bieten die insgesamt 25 Glocken des Turmes der dortigen Propsteikirche einen sehr umfangreichen Fundus aus Uhrschlag- und Läuteglocken sowie einem Glockenspiel, das neben dem liturgischen Läuten regelmäßig erklingt.

Die Exkursionsteilnehmer in der Glockenstube von St. Stephanus in Beckum

Das große dreistimmige Hauptgeläut der ehem. Abteikirche in Liesborn besteht in dieser Form bereits seit dem späten 17. Jahrhundert unverändert und klingt aufgrund seiner sehr ungewöhnlichen Disposition höchst individuell. Nur zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt die Pfarrkirche St. Margareta in Wadersloh zu einer noch vorhandenen sieben weitere Glocken. Trotz einiger klanglicher Mängel und nicht ganz sauber getroffenen Schlagtonlinie beeindruckt das größte Geläut Westfalens aus der Gießerei Albert Junker aus Brilon ungemein.

Campanologische Dogmen zum Einsturz gebracht

Am Sonntagvormittag begann der zweite Teil der Vorträge des Kolloquiums. Konrad Noll korrigierte einige Falschinformationen über den Schweizer Glockengießer Emil Eschmann und stellte das Konzept des neuen Thurgauer Glockenbuchs von Hans Jürg Gnehm vor. Bert Schoofs demonstrierte sein Klangschalenspiel, welches er eigens aus den Niederlanden mitgebracht und vor dem Seiteneingang des Rathauses abgestellt hatte. Romeo Dell’Era referierte über die Verbreitung nichtitalienischer Glocken und Glockengießer in der italienischen Schweiz.

Zum Schluss brachte Klaus Hammer in der deutschen Glockenforschung verbreitete Dogmen zum Einsturz, indem er die Schlagtonausprägung für die Klangqualität einer Glocke als ausschlaggebend nachwies. Demnach sei die Messung der Nachklingzeiten der drei Prinzipaltöne Unterton, Prime und Terz gegenüber derjenigen der Schlagtonbildner Oktave, Duodezime und Doppeloktave sekundär für die klangliche Bewertung einer Glocke. Hammer empfahl daher nachdrücklich, die Form von Abnahmegutachten noch einmal zu überdenken.

Vorstand wiedergewählt

Publikationen auf dem Tagungstisch des 31. Kolloquiums zur Glockenkunde

Mit dem Erscheinen eines weiteren Bandes des Jahrbuchs für Glockenkunde, der in besonderer Weise auch dem 100. Geburtstag der Kölner Petersglocke im vergangenen Jahr gewidmet ist, wurde zum 31. Kolloquium zur Glockenkunde das Findbuch zum Nachlass des Pfälzer Pfarrers und bedeutenden Glockensachverständigen der Nachkriegszeit Theo Fehn (1920-1984) veröffentlicht. Dieser Nachlass befindet sich bereits seit einigen Jahren in den Beständen des Deutschen Glockenmuseums und kann nun für wissenschaftliche Zwecke systematisch genutzt werden.

Neben dem Beschluss zur Neufassung der Vereinssatzung, die eben auch die Verlegung des Vereinssitzes von Greifenstein nach Gescher beinhaltet, wurde der alte Vorstand komplett wiedergewählt. Während des Kolloquiums konnten die Teilnehmer eine von Sebastian Wamsiedler eingerichtete Fotoausstellung „Heute muss die Glocke werden! Heavy Metal für Salzgitter“ besichtigen, die den Glockenguss in der Technik zur Zeit des vor-Ort-Gießens dokumentiert. Die Ausstellung der polnischen Teilnehmer Marceli Tureczek und Piotr Jamski über die Ablieferung der Glocken in Galizien während des Ersten Weltkriegs ist auch über das Kolloquium hinaus in der nächsten Zeit für jeden in den Räumen des Westfälischen Glockenmuseums zugänglich.

Am Ende der Tagung wurde den Teilnehmern bekanntgegeben, dass das 32. Kolloquium zur Glockenkunde vom 3. bis zum 5. Oktober 2025 wieder in Gescher stattfinden wird.

Download des Vortrags von Marc Michalzik zur Digitalisierung des Nachlasses Peter Huverstuhl

Video vom 31. Kolloquium zur Glockenkunde in Gescher von Dirk Hübner

Bildergalerie vom 31. Kolloquium zur Glockenkunde in Gescher